Über die mänschlichen Schwechen

Im Rahmen meiner Artikelserie Kultur & Co. stelle ich hier von Zeit zu Zeit Tonträger vor, die ich in meinem Leben besessen und auch mehrfach angehört habe.

Die LP „Über die mänschlichen Schwechen“ erschien im Jahre 1970 in der Black Label-Edition von Hör Zu. Beim Anblick des Covers kam in mir der Wunsch auf, diese Platte zu erwerben. Gesagt, getan.


Hätte ich das mal gelassen. Der erste Eindruck war phänomenal und machte mich stante pede zum Qualtinger-Fan. Ich kenne keinen anderen Interpreten, der in Bezug auf Stimmenvielfalt dem Herrn Qualtinger das Wasser reichen konnte oder könnte.
Schon das Intro mit dem berühmten Jedermann-Kollapso (nach der Melodie von Harry Belafontes „Banana Boat“) ist ein echter Bringer. „Komm, Mister Jedermann, gehma bisserl schterben…“ da muss man erst mal drauf kommen.
Die zweite Nummer ist das Zwei-Personen-Stück „Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben“, ein Dialog von zwei alten Mimen beim Abschminken. Jeder mit einem veritablen Sprachfehler ausgestattet, echauffieren sich die Protagonisten über ihre Laufbahnen „auf dem Theater“. Der Höhepunkt in diesem Dialog ist die Enttarnung des Gewerkschaftsfunktionärs Pollatschek als ehemaliger Darsteller aus dem Shakespeare-Zyklus Troppau namens Nordenthal.
Das daran anschliessende Medley „Einen Juke will er sich machen“ stammt von Gerhard Bronner und umfasst alle 50er-Jahre-Schnulzen von Oklahoma Jim bis zur kleinen weissen Taube…. der Name ist Programm.
Drei Verhandlungen vor dem „Wiener Bezirksgericht“ bringen den geneigten Hörer in den Genuss von alltäglichen dort verhandelten Streitigkeiten, alle einzigartig in Thema und Darbringung.
Als nächstes kommt dann eine gekürzte Version des Bundesbahn-Blues, dessen Text ich für würdig erachtet habe, auf meiner Songtext-Seite veröffentlicht zu werden.
Einen weiteren Höhepunkt stellt der Beitrag „Für unser Landvolk“ dar, in dem sich der Sprecher gegen die staatlichen Eingriffe gegen die natürliche Vertilgung der Ahnderln verwehrt. Black Humor at its best.
Im anschliessenden 5-Personen-Stück „Striptease“ bringt der Stimmenkünstler es fertig, alle Mitwirkenden derart gekonnt zu interpretieren, dass man quasi das verrauchte Etablissement vor seinem geistigen Auge sehen kann. Zitat: „Negerinnen machen das viel geschickter“ Geschäftsfreund, traurig: „In Attnang-Puchheim haben wir keine Negerinnen.“
Einen Einblick in die Seele des Wieners oder Weaners stellt die Interpretation des von H.C. Artmann geschriebenen Songs „Was an Weaner ois ans Gmüat gaht“. Schwer zu verstehen, aber einfach genial.
Auf der Rückseite folgt ein Auszug aus dem unspielbaren Karl-Kraus-Stück „Die letzen Tage der Menschheit“, Etappenszenen aus dem ersten Weltkrieg. Wurde übrigens vom Deutschen Theater in Göttingen doch auf die Bühne gebracht. Zitat: „Und für jeden Russ an Schuss, für jeden Franzos‘ a Stoss, Serbien muss sterbien…“
Drei schwarze Lieder mit Texten von H.C. Artmann bilden den Übergang zu den Stück „Der eine und der andere“, in dem der Herr Karl, eine Paraderolle Qualtingers, sich über das Leben auslässt, wie es ein opportunistischer Schuster nur kann.
In der Coda wird das ganze noch einmal zusammengeschnitten und akustisch aufgepeppt.

Prädikat: hörenswert.
Die Platte kann man ab und an noch bei einem hier nicht näher genannten Auktionsportal erstehen. Und wer den Wiener Schmäh liebt, der sollte zugreifen, wenn er denn noch einen Plattenspieler besitzt. Wenn nicht, kann er sich auch an mich wenden, ich habe noch einige gut erhaltene, die ich gerne abgebe.

Bis die Tage

Karl

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